Person des Monats: TRAFO-Managerin Johanna Heß
Passioniert, empathisch und extrovertiert
Spaß am Arbeitsplatz, ein offenes Miteinander und ein kreativer Austausch – der TRAFO Hub in der Braunschweiger Sophienstraße ist ein Digital Hub für renommierte Unternehmen, StartUps, (Solo-) Selbstständige, Kreative und Studierende, der genau das ermöglicht. Konzipiert, aufgebaut und gegründet wurde dieser „analoge Ort“ 2018 von der Berliner Unternehmerfamilie Heß. Innerhalb der fünfköpfigen Familie agieren alle als gleichberechtigte Gesellschafter:innen; maßgeblich vor Ort geführt wird der TRAFO allerdings von Johanna Heß. Die 29-jährige studierte VWLerin nahm sich damals der Herausforderung an, das in Braunschweig bis dato noch völlig unbekannte Konzept herzubringen und zu etablieren. Mit großem Erfolg: Der TRAFO Hub feierte Ende Oktober vierten Geburtstag und wächst und gedeiht. Von ihrem Arbeitskollegen Constantin wird Johanna liebevoll „Die beste Chefin der Welt genannt“. Wir haben Johanna im TRAFO zum Interview besucht.
Johanna, wie kamst du dazu, den TRAFO Hub zu gründen?
Nach meinem VWL- und BWL-Studium in Mannheim wollte ich eigentlich für meinen Master nach Madrid gehen und hatte da sogar schon einen Platz an einer sehr renommierten Business School. Dann kamen allerdings meine Eltern mit einer coolen neuen Option um die Ecke. Gemeinsam mit der Stadt, dem Haus der Wissenschaft und dem Arbeitgeberverband der Region wurde nach Möglichkeiten gesucht, wie man unsere Halle hier als Ort der Begegnung wieder reaktivieren kann und das geht natürlich nicht ohne eine Person vor Ort. Meine Geschwister waren beide nicht verfügbar – ich war sozusagen die Einzige, die gerade einen Abschnitt hinter sich hatte, wo das gepasst hätte. Ich habe mich dann dafür entschieden, weil ich dachte: Cool, eine krasse neue Herausforderung. Ganz anders als dieses verschulte Studium. Ich versuche das – in dem Wissen, dass ich nicht alles alleine mache, sondern meine Eltern und meine Geschwister ihren Input mitgeben.
Wie kamt ihr zu dem Konzept?
Diese Halle hier war komplett nackt. Nur der Bach war schon da. Meine Eltern haben hier früher Veranstaltungen gemacht – Hochzeiten, Geburtstage und Abipartys – aber das ist hier in der Nachbarschaft aufgrund von Lärmschutz schwierig. Deshalb haben wir das wieder gelassen. Dann ist aber die Stadt Braunschweig proaktiv mit dem Anliegen auf uns zugekommen: Wie können wir diesen Ort auch für die breite Masse beleb- und erlebbar machen? Daraufhin haben wir uns wirklich schnell mit der Braunschweig Zukunft GmbH in Form von Gerold Leppa zusammengesetzt und Input gegeben. Es gab auch Anfragen von Fitnessstudios, Autohäusern, Großkonzernen, aber irgendwie hat sich über die Zeit das Konzept des „Digital Hubs“ ergeben und durchgesetzt – und „Hub“, also „Verknotungspunkt“, ist hier tatsächlich ein wichtiges Stichwort. Wir möchten gerne unterschiedliche Menschen, Unternehmensarten und Geschäftsmodelle zusammenbringen und haben von Anfang an auf den Input von bestehenden Akteuren gesetzt und gefragt: Was wollt ihr hier? Wir sagen auch immer gerne, dass das hier die „Sagrada Familia“ von Braunschweig ist, weil wir nie fertig sind – und das wollen wir auch gar nicht sein. Wir hätten hier auch ausschließlich schicke Designer Möbel reinstellen können, aber dann wäre vermutlich niemand gekommen, weil es sich niemand leisten kann – das ist übrigens in Berlin häufig der Fall. Wir sagen: Andersherum wird ein Schuh draus. Wir fragen euch über Events wie Community Lunches oder Feedback Fridays, was gebraucht wird und warum die Leute gerne herkommen. Dann passen wir dahingehend an.
Du hast dein Madrid sausen lassen für das hier – bereust du das manchmal?
Ich wäre unehrlich, wenn ich „Nein“ sagen würde. Ich bereue es in Situationen, in denen mir hier alles über meinen Kopf wächst, und ich mitbekomme, wie Freunde aus dem Studium vielleicht viel mehr Geld verdienen, viel weniger arbeiten müssen oder auf der Karriereleiter schon viel weiter oben sind. Gleichzeitig habe ich nach so einer Krisenstimmung oft ein wahnsinniges Gefühl von Dankbarkeit, dass ich eben nicht in einer Consulting-Firma oder Ähnlichem sitze, sondern viel mehr Freiheiten habe. Ich kann entscheiden, wann ich in den Urlaub fahre, ob ich im Homeoffice bin oder nicht – ich bin mein eigener Chef und habe dazu noch ein richtig tolles Team. Hier sind so viele unterschiedliche kluge Leute, von denen ich jeden Tag ganz viele Impulse bekomme. Dann bin ich wie gesagt sehr dankbar, dass ich das hier machen darf. Es ist nur menschlich, zu sagen: „the grass is always greener on the other side“, dennoch bin ich sehr stolz auf das, was wir hier in den letzten vier Jahren geschaffen haben. Allerdings glaube ich auch, dass das Unternehmertum nicht für jede:n etwas ist. Es ist bei Weitem nicht so glanzvoll, wie es der StartUp-Founder-Hype vorgibt. Es gibt viel Blut, Schweiß und Tränen und durchaus auch Streit – aber ich würde es auf jeden Fall und immer wieder machen.
Welche Sorgen und Ängste hattest du vor dem Gründen?
Es war auf jeden Fall eine krasse Erfahrung, in eine neue Stadt zu ziehen für eine Unternehmung, die es in der Form noch nicht gibt. Ich glaube, es ist etwas anderes, wenn du für einen Job in einem Unternehmen, das es schon lange gibt, an einen völlig neuen Ort ziehst. Da existieren Strukturen und Abläufe, an die du dich halten kannst. Ich musste das alles erst noch (er-)finden und das war durchaus eine Herausforderung. Die Idee, die du hast, musst du erstmal bekannt machen – so natürlich auch das Konzept vom TRAFO Hub. Darüber hinaus war ich oftmals die Jüngste und eine von wenigen Frauen – das ist erst recht eine Herausforderung. Sehr schön war es aber für mich, dass ich hier in der Region total nett in Empfang genommen wurde. Viele haben zugehört und waren von Anfang an interessiert. Nachdem wir uns 2019 richtig aufgebaut haben, kam 2020 allerdings Corona, was natürlich für so einen Ort, wie wir es hier sind, einen echten Genickbruch hätte bedeuten können. Wir sind nicht nur ein analoger Ort, sondern machen Geschäfte mit jungen Unternehmer:innen, die selbst kaum Rücklagen oder finanzielle Möglichkeiten haben – das hat mir einige schlaflose Nächte bereitet und viel Angst und Unsicherheiten mit sich gebracht. Sehr hilfreich waren dabei aber die Erfahrungen meines Vaters, der seit 35 Jahren Unternehmer und Geschäftsführer in seinem eigenen Unternehmen ist und schon viele Krisen miterlebt hat. Wie ein Fels in der Brandung hat er mir da eine Coolness mitgegeben, die mir viele Sorgen genommen hat.
„Wir glauben daran, dass Menschen immens davon profitieren, wenn sie wirklich physisch beieinander und miteinander sind.“
Johanna Heß
Was genau meinst du mit „analoger Ort“?
Wir glauben als Familie ganz fest daran: Digital geht nur analog! Menschen profitieren immens davon, wenn sie wirklich physisch beieinander und miteinander sind. Es gibt immer wieder Fragen, die in einem Teams-Channel oder Ähnlichem zu kurz kommen oder zu Missverständnissen führen, weil durch das geschriebene Wort vielleicht fehlkommuniziert wurde. Wir sind der Meinung, dass es gerade an einem analogen Ort wie hier, in einer Halle von 1894, total hilfreich ist, wenn man Leute und Unternehmen zusammenbringt, die so unterschiedlich sind. Wir haben moderne StartUps, Soloselbständige, Kommunikationsagenturen, Krypto-Kids, die Konzernwelt, Softwareentwicklungsbuden, Designer:innen, Fotograf:innen – jede:r hat ein anderes Geschäftsmodell und trotzdem können hier alle zusammenkommen und wir geben die richtigen Impulse dazu. Analoge Orte sind also gerade für digitalisierte Geschäftsmodelle extrem wichtig, weil es ganz viele unterschiedliche Unternehmenssprachen gibt – hier kann die Kommunikation über diese Grenzen hinauswachsen.
Du wirst als „TRAFO Hub Managerin und gute Seele des Hauses“ beschrieben. Wie würdest du deine Rolle hier umschreiben?
Auf dem Papier bin ich sogenannte „Prokuristin“ und mein Bruder ist Geschäftsführer. Wir sind aber alle fünf der Familie gleichberechtigte Gesellschafter:innen und haben das auch schon immer so gelebt. Gute Seele des Hauses? Keine Ahnung. Ich glaube, ich versuche von dieser Bezeichnung ein wenig wegzukommen, denn ich finde das zu sehr auf mich fokussiert. Wir sind als Team überragend – und haben mit Constantin, Sally, Lennart, Neele, Enes, Ilka, Jörn und Marcel wahnsinnig coole Leute hier.
Was machst du, wenn du nicht im TRAFO bist?
Ich reise wahnsinnig gerne – und wenn es nur nach Hause nach Berlin ist. Dort bin ich auch super gerne am Wochenende in meiner zweiten Wohnung, weil die Inspiration und die Kultur dort einfach anders sind. Da gehe ich auch gern einfach mal in einen abgeranzten Schuppen ein Bier trinken, weil es einfach ein Kontrastprogramm zu hier ist. Ich spiele außerdem sehr gerne Tennis, gehe wahnsinnig gerne in Bayern wandern und bin immer auf der Suche nach neuen Eindrücken, Menschen und Kulturen. Ich war in diesem Jahr schon in Tansania, Sansibar und Korea, weil es mir einfach extrem hilft, Input aus anderen Ländern zu bekommen, um auch immer wieder zu realisieren, wie verdammt gut es einem eigentlich geht. Das Meckern, das ich jeden Tag hier von Membern oder auch von mir selbst höre, ist so enorm hoch im Vergleich zu anderen Ländern, da hilft es, immer ein paar Eindrücke vom Reisen mit hierherzubringen – egal, ob für das Team, die Member oder nur für mich selbst.
In deinem Büro hängt ein Bild von Kim Kardashian…
Wir nennen sie auch liebevoll „Kim Kartrashian“, weil hier doch auch hin und wieder mal Gossip rumgeht und wir sagen: Hier ist alles transparent, hier ist alles aus Glas, jeder kennt jeden – lass es einfach sein! Gossip gerne, wenn du vor der Tür bist, aber nicht hier. Wir sind tolerant und offen für Diskurs – aber auf neutralem Boden.
Was wünscht du dir noch für den TRAFO?
Ich würde mir wünschen, dass sich die Member noch mehr austauschen und zusammenarbeiten. Nicht nur Mittagessen und Bier trinken! (lacht) Ich würde gerne noch mehr Kollaborationen sehen – das ist aber auch eine Hausaufgabe für uns als Team, das noch mehr voranzutreiben. Und ich wünsche mir, dass mehr tradierte Unternehmen aus der Region – insbesondere aus dem kleineren Mittelstand – verstehen, warum es uns gibt und uns auch in Anspruch nehmen. Wir würden gerne mehr Leuten dazu verhelfen, den Mehrwert des TRAFOs zu erkennen – in Bereichen und Segmenten, die es dringend nötig haben aufgrund der Arbeiterlosigkeit und des Wegfalls von Fachkräften und Nachwuchstalenten. Ich glaube, wir haben hier in der Region wirklich große Probleme, aber auch Potenziale, und wir wollen gerne dabei helfen und zeigen, was für coole, diverse Leute es gibt, die vielleicht einen ganz anderen Background. Solange man unternehmerisch zusammenpasst, sollte das keine Rolle mehr spielen. Da ist noch viel zu tun. Wir freuen uns drauf!
Louisa Ferch