Person des Monats: Westand-Betreiber Manfred Neumann
Aus Liebe zum Live-Erlebnis
Manfred Neumann, Baujahr 1961, ist studierter Industriedesigner, liebevoller Vater und leidenschaftlicher Musiker. Mit der Eröffnung der Event- und Kulturlocation Westand wurde er 2019 auch Gastgeber für Veranstaltungen aller Art. Von Konzerten über Comedy-Shows hin zu Firmenevents bietet Manfred am Westbahnhof 13 Raum für Veranstaltungen mit bis zu 800 Personen. Entstanden ist die Idee zur eigenen Konzertlocation in einer Bierlaune in Barnaby’s Blues Bar, wo der Rockmusikliebhaber einst „eine eigene Inventarnummer hatte“, wie er im Interview verriet. Trotz Corona-Pandemie und Kultur-Krise betreibt der 61-Jährige das Westand gemeinsam mit zwei Festangestellten und einem 25-köpfigen Aushilfsteam mit Liebe und Leidenschaft und freut sich auf ein abwechslungsreiches Programm im frisch angebrochenen Jahr 2023. Wir haben Manfred backstage getroffen und über das unvergleichliche Erlebnis einer Live-Show, die Entwicklung der Ticketverkäufe und seine Freude am Gastgeber-Sein gesprochen.
Manfred, wie kommt man vom Industriedesign zur eigenen Veranstaltungsstätte?
Das war im Grunde eine Verkettung von Zufällen. Eines Tages war ich mit meinem Freund Reiner Nötzel auf einem Konzert im Barnaby’s und hinterher dachten wir: Eigentlich können doch selbst eine Konzerthalle bauen! Etwa ein Vierteljahr später habe ich durch Zufall dieses alte Gebäude hier entdeckt. Wir fanden es sofort super charmant und haben es quasi vom Fleck weggekauft. Der erste Plan war dann, eine Konzerthalle zu bauen, Übungsräume für Mukker zu machen und ein bisschen Gastronomie dazu. Dann kam die Stadt auf uns zu und meinte: Wir brauchen auch noch ein Soziokulturelles Zentrum! Dann haben wir uns mehr oder weniger überreden lassen und unsere Pläne verändert, um das hier möglich zu machen. Eigentlich wollten wir nur in die alte Ruine, die es hier noch gab, aber nun mussten wir für das Soziokulturelle Zentrum 1500 Quadratmeter mehr bauen. Zum Glück haben wir noch zwei Investoren – Carl-Thomas Schneider und Werner Bösemann – gefunden, denn der ganze Bau hat ungefähr sieben Millionen Euro verschlungen.
Ihr habt im Herbst 2019 eröffnet. Hast du den Glauben an das Westand während Corona mal verloren?
Im März 2020 ist natürlich eine Bombe geplatzt. Bis dahin hatten wir etwa 40 Veranstaltungen durchgeführt, es ist also super angelaufen. Aber dann kam mit der Zeit natürlich der Gedanke auf, dass das hier vielleicht auch schnell wieder Geschichte sein könnte. Ich zahle als Betreiber der Westbahnhof 13 GmbH ja Miete an die Westand GmbH und hätten wir die in voller Höhe weiterbezahlen müssen, hätten wir 2020 dichtmachen müssen. Zum Glück haben die Investoren uns eine Mietsenkung angeboten, mit der wir alles über Wasser halten konnten. In der Zeit des Lockdowns haben wir trotzdem ständig Veranstaltungen gemacht, nur eben völlig andere. Wir konnten mit unserem großen Raum kleinere Veranstaltungen mit großen Abständen ermöglichen – zum Beispiel Sitzungen der IHK oder Ähnliches. Das hat uns auch eine neue Stammkundschaft geschaffen.
Wieso sind Konzerte mit 800 Leuten eigentlich perfekt?
Für jeden Kulturbereich gibt es seinen Markt. Hier in der Region hat seit der Meier Music Hall genau diese 800er Clubgröße gefehlt, obwohl sie Möglichkeiten für sehr interessante Veranstaltungen bietet – das sieht man auch in unserem Programm. Für das Publikum ist das auch geil, weil man eigentlich immer nah dran ist – egal, wo man steht. Das ist in einer großen Halle etwas ganz anderes, wo man ohne Bildschirm eigentlich gar nichts sehen würde. Das macht den Charme so einer kleineren Location aus. Außerdem haben wir hier eine extrem gute Technik, sodass hier auch teilweise Bands spielen, für die wir eigentlich zu klein sind. Und die kommen auch gerne wieder. Atze Schröder spielt auch gerne hier seine Probeshow, bevor er dann in die Volkswagen Halle geht. Oder die Jazzkantine verkauft ihre Show hier zweimal hintereinander aus. Das hat einfach was.
Du hast auch privat eine große Leidenschaft für Musik und Kultur…
Ich spiele seit Ewigkeiten der Band „Parkhouse“. Wir sind eine Band aus alten Herren, die schon lange befreundet sind. Wir spielen nur eigene Stücke, deutschsprachige Rockmusik. Da haben wir super Spaß dran und gehen etwa fünf bis sechs Mal im Jahr auf die Bühne – alles im kleinen Rahmen. Wir werden niemals in der Hitparade auftauchen und das ist auch nicht unser Interesse. Ich genieße das als Ausgleich zur Arbeit sehr – einfach mal ein paar Stunden ohne Handyempfang im Probenkeller sein. Wer das mal erleben möchte, hat am 20. Januar die Gelegenheit: Wir werden zusammen mit Soul Collective das Westand rocken.
Wie geht es der Braunschweiger Kultur seit der Pandemie?
Die Kultur hat sehr gelitten. Das sieht man an den Verkaufszahlen. Fünfzig Prozent ist das neue ausverkauft. Dinge, die früher gelaufen wären wie blöd, beispielsweise Rainer Hersch, der das Spiegelzelt letztes Jahr viermal ausverkauft hat, war dieses Jahr dreimal bei mir, aber mit ganz anderen Verkaufszahlen. Das haben wir so schon häufiger erlebt. Die Leute sind vielleicht aufgrund von Corona noch gebremst, weil sie am Kühlschrank noch Tickets aus den letzten drei Jahren hängen haben, die sie erst noch abarbeiten müssen. Außerdem gab und gibt es ja auch so viele Verschiebungen, die zu Unsicherheiten führen. Dann gibt’s noch den Aushilfs-Nazi aus Russland mit seinem scheiß Krieg, was die Leute völlig verunsichert, Stress und Sorgen bereitet. Deswegen wissen wir aktuell nicht, wie sich der Markt entwickeln wird und ob er sich je erholen kann. Gut gehen im Moment vor allem die Coverbands.
Dabei könnten kulturelle Events auch einen wohltuenden Ausgleich zum Stress im Alltag bieten…
Wenn du den Markt der großen Sachen siehst, sieht es schon ganz anders aus. Wacken ist ausverkauft, M’era Luna läuft, Helene Fischer hat auch keine Probleme. Vielleicht sagen die Leute auch: Lieber für 200 Euro zu Helene Fischer als fünfmal für 35 Euro in den kleinen Club – ich weiß es nicht. Die Großen haben dafür andere Probleme: Viele Techniker sind weg und die ganze Logistik drumherum ist komplizierter geworden, deshalb sind die Preise teilweise auch so explodiert.
"Unter Leuten sein, Künstler hautnah erleben, vielleicht hinterher sogar nochmal mit denen quatschen – das ist ein einmaliges Erlebnis."
Warum bist du gerne Gastgeber?
Das weiß ich auch nicht! (lacht) Vielleicht ist das ein übertriebenes Helfersyndrom? Ich freue mich einfach über Leute, begrüße sie, quatsche mit ihnen. Ich fühle mich in dieser Rolle des Gastgebers einfach wohl und mache das gern.
Was ist deiner Meinung nach der Mehrwert von Live-Kultur?
Man kann ein Live-Event gar nicht mit einem Streaming-Event vergleichen. Unter Leuten sein, Künstler hautnah erleben, vielleicht hinterher sogar nochmal mit denen quatschen – das ist ein einmaliges Erlebnis. Wir haben viele Streaming-Formate produziert. Klar, als das mit der Krise anfing, fand man das super. Da setzten sich zehn Metalkumpels mit ner Kiste Bier zu Hause hin und kaufen sich ein Ticket für den Stream und haben einen tollen Abend. Aber dass das ein eigener neuer Kulturzweig werden könnte, hat sich bisher nicht verifiziert. Die ganze Streaming-Geschichte plätschert irgendwie vor sich hin, aber ist in keinem Fall vergleichbar mit einem Live-Erlebnis.
Ihr habt inzwischen ein eigenes Fernsehstudio hier aufgebaut…
Genau, das haben wir gemeinsam mit Maik Reepschläger aufgebaut. Er ist quasi unser Partner für alles, was das Digitale anbelangt. In der ganzen Region gibt es eigentlich nichts Vergleichbares zu dem, was wir hier machen. Hier liegen drei Kilometer Kabel, automatische Roboter-Kameras und eigentlich überall die Möglichkeit, noch weitere Kameras anzuschließen. Gelegentlich machen wir hier auch echt große Videoproduktionen. Die größte, die wir hatten, war im März ein Benefizkonzert für die Ukraine. Wir haben einen hohen Anspruch an Klang und Bild, den wir hier umsetzen können. Das sieht aus wie im Fernsehen. Gemeinsam mit der HBK werden wir in Zukunft auch an Medienformaten forschen.
Kannst du schon ein paar Highlights für das nächste Jahr ankündigen?
The Busters, Maniacs, eine super Eagles-Coverband, eine Clapton-Coverband, Schmyt… Zum ersten Mal veranstalten wir hier auch den Karneval – Kinderkarneval, die Sitzung von Braunschweiger Karnevalsverein und wir haben das erste Mal seit einigen Jahren „Karneval total“ – eine echte Karnevalsfete.
Wie ist deine Stimmung, wenn du aufs neue Jahr blickst?
Man muss sich einfach anpassen – groß ändern kann man eh nichts. Die Stimmungslage ist aber optimistisch, denn die Buchungen laufen bisher ganz gut. Wir wollen etwa auf 120 Veranstaltungen kommen, dann ist die Wiese grün.
Ein Beitrag von Louisa Ferch, 03.01.2023