Maria Meibohm - Projektmanagerin Buchhandlung Graff
„Das Interesse am Buch ist ungebrochen“
„Momentchen, ich brauche Sie auch noch ganz kurz hier.“ Maria Meibohm ruft mir ein freundliches „Bin gleich bei Ihnen“ zu und eilt zum Kassenbereich, der gerade umgestaltet wird. Von der Decke baumeln Kabel, bevor der Elektriker die neue Lichtleiste montieren kann, muss noch ein Detail geklärt werden.
Maria Meibohm ist Projektmanagerin in der Braunschweiger Buchhandlung Graff. Wenn ihr Vater Joachim Wrensch Ende 2024 ausscheidet, wird sie seine Gesellschafteranteile übernehmen und fortan gemeinsam mit ihrem Cousin Frederick Wrensch das Familienunternehmen führen.
Als wir uns zum Interview treffen, wird gerade in allen Etagen gewerkelt. Ein Umbau im laufenden Betrieb, „das ist eine echte Herausforderung“, sagt die 34-Jährige, als wir im Fahrstuhl nach oben gleiten. Doch Herausforderungen schrecken die Frau nicht, sie begegnet ihnen mit Freude und Enthusiasmus. Der ansteckend zu sein scheint: Auf dem Instagramkanal der Buchhandlung hat sie einen Beitrag von den Vorbereitungen zur Renovierung gepostet. Und da macht doch glatt ein hochmotivierter Helfer einen Salto.
Bevor wir ins Besprechungszimmer gehen, muss ich dann doch noch loswerden, dass ich das Eulenmotiv, Markenzeichen der Buchhandlung, auf dem ausrangierten Teppich ein bisschen vermissen werde. Diese nostalgische Anwandlung nimmt Meibohm freundlich lächelnd zur Kenntnis, aber der neue meerblaue Belag musste zum einen sein, zum anderen kann man ihn, weil er in Platten verlegt wird, unkompliziert stellenweise erneuern.
Die Projektmanagerin packt überall mit an
Eingestiegen im Januar 2022, haben Sie alle Abteilungen durchlaufen und sind nun im Unternehmen Ihrer Familie Projektmanagerin. Was macht man da so?
„Ich bin ganz viel im Haus unterwegs, in allen Abteilungen, auf der Verkaufsfläche präsent“, sagt Meibohm. Wenn sie sieht, dass bei den Zeitschriften etwas aufgefüllt werden muss, dann packt sie da mit an. Personelle Engpässe hilft sie zu überbrücken, indem sie einspringt, wenn zum Beispiel an der Kasse jemand fehlt. Oder sie holt auch mal einen Swiffer und bittet, übersehenen Staub vom Regal zu wedeln. „Ich habe auch die Technik im Blick, kümmere mich darum, dass der Fahrstuhl wieder in Gang gebracht wird, wenn er mal ausfällt.“
Im Kunden-WC hat sie einen neuen Wickeltisch anbringen lassen. In der Jugendbuchabteilung das fadenscheinig gewordene Sofa neu beziehen lassen. Und die beliebte, aber etwas in die Jahre gekommene Feuerwehr in der Kinderabteilung soll auch aufgemöbelt oder gar gegen ein Piratenschiff ausgetauscht werden. „Da bin ich dran.“ Sie erwäge, dafür kooperativ einen Verlag mit ins Boot zu holen.
Eine Frau, die irgendwann im Gespräch einmal sagen wird, dass sie vor Ideen sprüht, hat natürlich mehr in petto als die Auswahl eines Sofabezugs. Auf einem zweiten Instagramkanal, quasi der regionalen kleinen Schwester des bereits etablierten Insta-Profils von Graff mit immerhin auch schon 3000 Followern, gewährt sie Blicke, um im Bild zu bleiben, zum einen hinter die Kulissen, zum anderen unter die vielen Büchertische. Was sich da so alles im Keller stapelt. Oder eben diesen übermütigen Salto aus dem Helfertrupp. „Das ist zeitintensiv, macht aber auch Spaß.“ Ein weiteres großes Projekt zum Jahresende ist die Überarbeitung der „gut laufenden“ Homepage. Der Stöbercharakter bei dem online-Bestellsystem soll im neuen Design noch unterstrichen werden.
Nach dem lockeren Warm-up muss sie nun doch kommen, die Frage aller Fragen, um die kein Vertreter aus der Buchbranche herumkommt:
Ist das Buch noch zu retten? Und wenn es gekauft und von den Großeltern auf den Gabentisch gelegt wird, wird es dann auch noch gelesen oder vorgelesen?
„Das Interesse am Buch ist ungebrochen!“, lässt Meibohm keinerlei Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der gedruckten Lektüre zu. Dass junge Menschen nicht mehr lesen, sei eine Mär. Gerade die Zielgruppe zwischen 18 und 30 Jahren werde immer wichtiger. „Für das Segment New Adult haben wir gerade auf sechs Regalmeter erweitert.“ Fantasy und Dark Romance seien hier begehrte Kategorien der Leserschaft. Von drei auf fünf Regalmeter sei zudem die Auswahl an Mangalektüre angewachsen. Hier stöberten viele Schüler, „das ist ein tolles Medium, es ermöglicht den Zugang zum Lesen über die Jugend hinaus“, ist Meibohm überzeugt.
„Kennen Sie den Hashtag Booktok?“ dreht Meibohm den Frage-Antwort-Spieß mal um. Ich muss gestehen: bisher nicht. Das sei eine Riesen-Community, erzählt Meibohm. Auf Tiktok seien im übrigen die jüngeren Kollegen bei Graff aktiv. Booktok funktioniert wohl ähnlich wie Tiktok: Blogger inszenieren sich beim Lesen oder begeistern sich darüber, ein Buch tatsächlich in den Händen zu halten. Manche tanzen auch. Wenn sie die Bücher dann auch lesen, warum nicht . . .
Die Nachfrage in der Kinder- und Jugendabteilung sei nach wie vor ungebrochen hoch, die Pandemie habe diese noch mal gepusht. Ob die Bücher tatsächlich auch alle gelesen werden oder jungfräulich im Regal verschwinden, kann sie natürlich nicht sagen. Aber ein Service, den Graff seit Jahren erfolgreich anbietet, kann einen optimistisch stimmen: Man kann Geschenkekörbe zusammenstellen, die Gäste können aus diesem Mitbringseln wählen. „Das läuft so gut, wir wissen manchmal kaum noch, wo wir das alles lagern sollen.“
„Man muss auch schon initiativ sein als Händler“
Die Buchbranche gilt immer mal wieder als dem Untergang geweiht. Graff scheint dem wie ein Fels in der Brandung zu trotzen. Wie gelingt das?
„Man muss auch schon initiativ sein als Händler“, sagt die Kulturwissenschaftlerin, die im Nebenfach auch BWL studiert hat. Und meint damit: Man könne nicht allein darauf vertrauen, dass der treue Kunden eben per se beim inhabergeführten, unabhängigen Buchhändler kauft. Weil man als Braunschweiger mit Lokalstolz eben bei Graff und nicht bei einer Kette kauft. Und so wird rund um das Kerngeschäft ein bunter Strauß von Angeboten drapiert. Die Signieraktionen seien ein wahres Zugpferd, manche Autoren erfüllten bis zu 2000 personalisierte Signaturwünsche.
Autorenlesungen prägen zudem den Charakter der Buchhandlung, das Krimifestival ist für viele ein gesetzter Termin im Kalender. Meibohm betreut auch einige Lesungen dieses Festivals, hat für den Griechenlandurlaub schon einen True Crime Roman im Gepäck: „Totmannalarm – Begegnungen mit Straftätern“ von Karoline Klemke.
Das Café setze einen weiteren Wohlfühlakzent. Am Manga-Day gibt es auch bei Graff kostenlose Leseproben ausgewählter Mangas. Und die Kleinsten freuen sich, wenn es mal wieder eine Rallye durchs Haus gibt.
Die Frage nach der Lektüre auf dem Nachtisch hat immer so ein bildungshuberisches Geschmäckle. Aber bei einer Buchhändlerin hoffentlich nicht. . .
Ich lese gerade „Going Zero“ von Anthony McCarten.
Und was wird den den Kindern vorgelesen?
(antwortet prompt) „Oskar lese ich `Die Dinoschule` von Britta Sabbat vor, Luka den `Stockmann` von Axel Scheffler“.
„Schlafen Sie manchmal vor den Kindern beim Vorlesen ein ?“
(lacht) „Das kann schon mal sein. Aber eigentlich nicht.“ Ihr Leben sei nicht langweilig, und manchmal werde sie gefragt, wie sie das alles schaffe. „Ein digitaler Familienplaner ist auf jeden Fall hilfreich“, sagt sie schmunzelnd. Und ein Thermomix, in dem sich unkompliziert Milchreis zubereiten lässt. „Außerdem mache ich doch das, was mir Spaß macht.“ So geht ihr Blick auch in anderen Städten immer in den Einzelhandel, dort holt sie sich die ein oder andere Anregung. Oder auf Instagram, wo sie vielen anderen Buchhandlungen folgt. Zusammen mit ihrem Cousin ist sie zudem in der Arbeitsgemeinschaft Marketing unabhängiger Buchhandlungen. Zudem bei den Rotariern und Beisitzerin im Arbeitsausschuss Innenstadt. Netzwerken gehört für sie zum Job dazu, aber es muss mit der Familie kompatibel sein.
Zusammen mit ihrem Mann und den Söhnen lebt sie in Veltheim. Die Jungs machen beim Kinderturnen mit, spielen im Dorf Fußball, im Nachbarort geht`s zur Leichtathletik, Maria Meibohm singt bei Vocal Total, geht in Veltheim zur Gymnastik. „Wir wohnen hier sehr gern, ich mache auch bei der Veltheimer Weihnachtsmarktgesellschaft mit.“ Auf dem Weg zur Arbeit hört sie gern Podcasts : Fast & Curious, Fest & Flauschig, Kaulitz Hills – Senf aus Hollywood. Oder: Was Chefinnen wirklich denken.
Apropos Chefin: Ist es eigentlich schwierig, dem eigenen Vater auf dem Chefsessel zu folgen? Muss man sich die Akzeptanz der Mitarbeiter härter erarbeiten, weil einige einen womöglich noch mit Schnuller im Mund kennen? Weil sie zwar viele Jahre in der Buchbranche arbeitete, aber eben keine gelernte Buchhändlerin ist?
Maria Meibohm erzählt die rührende vorweihnachtliche Geschichte, als ihr Vater an einem Tag im Dezember 1988 in die Weihnachtsfeier bei Graff platzte und rief: „Es ist ein Mädchen!“ Es gibt tatsächlich noch einige wenige Mitarbeiter, die sich daran erinnern können. Mit dem Mädchen Maria wurde auch die bis dato männliche Nachkommenschaft der Sippe Wrensch – ihr Vater hat noch drei Brüder, die bis dahin auch wieder alle männlichen Nachwuchs hatten - durchbrochen.
Klar sei sie im Laden groß geworden, oft sei das Geschäft auf der morgendlichen Fahrt zur Schule, wo ihr Vater sie täglich absetzte, Thema gewesen. Klar kenne sie mancher von klein auf oder als Studentin. Aber Akzeptanzprobleme habe das nicht zur Folge. „Wir begegnen uns freundschaftlich, auf Augenhöhe.“ Wie professionell sie, ihr Vater und ihr Cousin die Unternehmensnachfolge geregelt haben – dafür gab es sogar den Sonderpreis des Unternehmerpreises der Region 38.
Sind Sie fürs Weihnachtsgeschäft gerüstet? Oder ist der Arbeitskräftemangel eigentlich auch bei Graff ein Thema?
„Nein, wir sind gut gerüstet, wir haben ausreichend und verlässliche Aushilfen.“ Und wenn Not am Geschenkpapiertisch ist, dann wird Meibohm eben auch dort einspringen. Für die Signieraktionen haben sie gerade zwei Projektmanagerinnen unter Vertrag genommen, zu zwei Auszubildenden kommt 2024 womöglich noch ein dritter. Sie selbst wird, wenn sie ihrem Vater nachfolgt, das Lesungsgeschäft und das Personalwesen verantworten.
War es eigentlich schwierig, nach Berlin und Hamburg in die vergleichsweise graue Maus Braunschweig zurückzukehren?
Klares Nein. „Das war immer klar, dass wir zurückkommen werden.“ Als Schülerin, wenn sie mal wieder die Bestellung eines Klassensatzes mit an den heimischen Mittagstisch brachte, sei sie auch immer ein bisschen stolz gewesen, „die von Graff“ zu sein.
Ein Beitrag von Susanne Jasper, November 2023