„Man sieht am Ende des Tages immer, was man gemacht hat.“
Matthias Steffen im Interview
Im Interview mit Redakteur Falk-Martin Drescher spricht Matthias Steffen, dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade, über die Auswirkungen der Pandemie auf den Aus- und Weiterbildungsbereich, die Bedeutung des Handwerks und Potentiale bei der Suche nach Fachkräften.
Wie hat sich der Aus- und Weiterbildungsbereich in der Corona-Pandemie entwickelt? Was waren wesentliche Auswirkungen?
Die Entwicklung ist derzeit durchaus sehr positiv. Mit 1.689 neuen Ausbildungsverträgen in unserem Bezirk lag die Zahl der neuen Lehrlinge zum 30. Juni rund elf Prozent über der Vorjahreszahl. Das ist eine erfreuliche Tendenz, die zeigt, dass das Handwerk trotz der durch die Corona-Pandemie erschwerten Suche nach Auszubildenden nicht in seiner Ausbildungsleistung nachlässt. Wir hoffen, dass diese positive Entwicklung anhält und der coronabedingte Rückgang an neuen Lehrstellen im vergangenen Jahr in diesem Jahr wieder aufgeholt wird. Das Niveau von 2019 haben wir trotz der wirklich positiven Entwicklung aber noch nicht erreicht.
Denkt man an das Handwerk, denkt man an Handwerker, bei denen man aufgrund der Nachfrage lange auf einen Termin wartet. Die Auftragsbücher sind voll, neue Mitarbeitende fehlen allerdings oft. Wie lassen sich neue (junge) Menschen für das Handwerk beg
Eine große Rolle spielen die Eltern und die Freunde. Wenn junge Menschen schon über das Elternhaus oder ihren Freundeskreis Kontakt zum Handwerk haben, ist die Offenheit für eine mögliche Karriere im Handwerk viel größer. Wir setzen daher verstärkt darauf, die Eltern zu erreichen. Außerdem wollen wir junge Menschen, die bereits erfolgreich im Handwerk arbeiten, als Azubi-Botschafter gewinnen, damit sie Schülerinnen und Schüler auf Augenhöhe über eine Ausbildung im Handwerk informieren.
Sie sind ja viel im Austausch mit den Betrieben. Was sind wesentliche Gründe oder Aspekte, warum sich jemand für einen Job oder eine Ausbildung im Handwerk entscheidet? Was schätzen die Mitarbeitenden an dem Berufsfeld?
Es gibt etwas, was das Handwerk und seine Betriebe auszeichnet und was es auch ganz klar von der Industrie unterscheidet, das ist der Zusammenhalt im Team. In den meisten Handwerksbetrieben arbeitet unserer Erfahrung nach unverändert eine überschaubare Anzahl an Mitarbeitenden, oft immer noch als Familienbetrieb. Jeder kennt jeden und oft geht der Kontakt untereinander auch über das rein Berufliche hinaus. Es ist das Team, das die Arbeit in einem Handwerksbetrieb ausmacht. Und was auch ganz wichtig ist im Handwerk: Man sieht am Ende des Tages immer, was man gemacht hat. Das schafft eine große Zufriedenheit.
Es gibt mittlerweile immer mehr Agenturen – etwa im Bereich Online / Social Media – die sich insbesondere auf das Recruiting im Handwerks-Bereich spezialisieren. Welche Bedeutung würden Sie den digitalen Kanälen beim Recruiting zuschreiben?
Die Bedeutung ist mit der Corona-Pandemie natürlich gestiegen und sicherlich wird das eine oder andere davon auch danach weiter genutzt werden, aber, ich denke, eher als Ergänzung und nicht als Ersatz. Denn nichts geht über das persönliche Gespräch. Und nur, weil Jugendliche privat Social-Media-Kanäle stark nutzen, heißt das nicht, dass sie sich auf diesen Kanälen auch über Ausbildung informieren und sich diese Kanäle für das Recruiting eignen. Ich setze daher auf einen guten Mix aus direktem persönlichen Kontakt und Kommunikation über Internet und Social Media, also kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als auch.
Inwiefern kann die Handwerkskammer Mitgliedsbetriebe bei den Themen Mitarbeitendensuche und Auszubildendensuche unterstützen? Gibt es da ggf. bereits konkrete Angebote?
Da gibt es bei uns verschiedene Angebote: Zum einen unsere Berater aus dem Programm „Passgenaue Besetzung“, das vom Bund und aus ESF-Mitteln gefördert wird und das zum Ziel hat, Betriebe bei der Suche nach der oder dem passenden Auszubildenden zu unterstützen. Zum andern haben wir einen Experten, der bei der Personalsuche und Fachkräftegewinnung berät und informiert. Zu diesen Themen bieten wir auch regelmäßig Workshops und Info-Veranstaltungen an. Das sind also ganz konkrete Angebote für unsere Mitgliedsbetriebe.
Ein anderes Feld ist gewiss dass der Unternehmensnachfolge. Wie einfach oder schwer finden Betriebe der Region geeignete Nachfolger? Wie kann man da (als Handwerkskammer) ggf. ebenfalls Unterstützung leisten?
Unternehmensnachfolge ist ein komplexes Thema, bei dem wir natürlich unseren Mitgliedsbetrieben Unterstützung anbieten. Unsere Nachfolgemoderatorin berät sowohl Übergebende als auch Übernehmende und begleitet auf Wunsch den kompletten Übergabeprozess. Aber auch wenn eine Unternehmensnachfolge einer guten Vorbereitung bedarf, so bietet sie gerade für junge Handwerker, die sich selbstständig machen wollen, gute Chancen. Denn mit der Übernahme eines bestehenden Betriebs fängt man nicht bei Null an, sondern hat bereits Mitarbeitende, Werkstätten und einen Kundenstamm – das erleichtert den Einstieg.
Was glauben Sie, inwiefern wird sich das Handwerk durch die Corona-Pandemie (nachhaltig / langfristig) verändern?
Gerade mit Blick auf den Bildungs- und Beratungsbereich hat auch im Handwerk die Digitalisierung einen Schub erhalten. Digitale Weiterbildungen, Info-Veranstaltungen oder Seminare finden eine größere Akzeptanz und erleichtern gerade in unserem großen Bezirk die Teilnahme an solchen Veranstaltungen. Das ist eine Veränderung, die sicherlich auch langfristig Bestand haben wird.
Wo sehen Sie – für die Zukunft – besondere Chancen, wo besondere Herausforderungen?
Die große Herausforderung im Handwerk ist die Suche nach Nachwuchs- und Fachkräften und das wird sie auch in Zukunft bleiben – aber diese Herausforderung ist auf der einen Seite auch eine besondere Chance, nämlich für alle, die keine Lust auf ein Studium oder einen Bürojob haben und im Handwerk aufgrund des Fachkräftemangels gute Karrierechancen vorfinden.
Ein Beitrag von Falk-Martin Drescher für BS-Live!