„Eine Ausbildung machen. Alles werden.“
Sönke Feldhusen im Interview
Sönke Feldhusen, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der IHK Lüneburg-Wolfsburg und Leiter des Bereichs Menschen bilden, erklärt im Interview, worauf Jobsuchende achten sollten, gibt Tipps und spricht über die Zukunft „unserer Wirtschaft“.
Wie ist die Lage der regionalen Wirtschaft? Wie voll sind die Auftragsbücher – vor allem im Kontext der Corona-Pandemie?
Laut unserer gerade veröffentlichten Konjunkturumfrage für das zweite Quartal 2021, die wir gemeinsam mit der IHK Braunschweig veröffentlichen, befindet sich die regionale Wirtschaft auf einem kräftigen Erholungskurs, aber klar ist auch, dass das noch nicht alle Branchen betrifft. Die Stimmung der Unternehmen im Wirtschaftsraum Braunschweig-Wolfsburg hat sich zuletzt erheblich verbessert. Die Top-3-Branchen in dieser Aufholjagd sind die Dienstleistungswirtschaft, Industrie und der Großhandel. Über die Branchen hinweg ist jedoch eine angestiegene Stimmung zu verzeichnen.
Ein stetes Thema in der Wirtschaft ist der Fachkräftemangel. Wie hat sich da die Lage in der Pandemie verändert?
Gerade in den von der Pandemie besonders stark gebeutelten Bereichen wie der Gastronomie und dem Tourismus hat sich die Lage sehr verschlechtert. Viele Fachkräfte haben sich während des Lockdowns neu orientieren müssen. Sie fehlen den angesprochenen Branchen nun schmerzlich und hinterlassen eine Lücke, die nicht so schnell zu schließen ist. Fachkräfte werden händeringend gesucht. In allen Branchen, in denen Fachkräfte vorher schon knapp waren, kehrt das Problem in der wirtschaftlichen Erholung mit zunehmendem Druck zurück. Wir gehen davon aus, dass Fachkräftemangel ab dem nächsten Jahr politisch wieder ganz oben auf der Agenda stehen wird.
Der Trend zeigt auf, dass sich immer mehr Menschen für Studiengänge entscheiden. Wie lassen sich junge Menschen für Ausbildungsplätze in der hiesigen Wirtschaft motivieren?
„Eine Ausbildung machen. Alles werden.“ – so lautet der Titel unserer digitalen Ausbildungskampagne Moin Future (moin-future.de), mit der wir gemeinsam mit Kooperationspartnern inzwischen niedersachsenweit sehr erfolgreich für eine Ausbildung in Niedersachsen werben. Eine duale Berufsausbildung wird häufig unterschätzt. Denn klar, es entscheiden sich viele Schulabgänger erstmal für ein Studium, zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Anzahl der Abbrecher ebenfalls konstant hoch bleibt. Viele Schulabgänger wissen gar nicht, welche Weichen eine Ausbildung für den weiteren Lebensweg stellen kann. Nicht nur, dass man erste Erfahrungen im Unternehmen sammelt und sich damit für weitere Karriereschritte empfehlen kann. Wer sich für eine Ausbildung entscheidet, kann parallel oder anschließend dual studieren, sich aber auch für eine spätere berufsbegleitende Fortbildung entscheiden, die bis auf die Niveaus Bachelor Professional oder sogar Master Professional führen kann. Das Beste daran: Alles geschieht dicht an der Praxis und im individuell richtigen Tempo, zudem ist das Einkommen gesichert.
Wie sind, ganz konkret, die Aussichten: Sind noch viele Stellen / Ausbildungsplätze frei bzw. zu vergeben?
Noch ist alles drin. Mehr als 3.000 Ausbildungsstellen waren Ende Juni bei den regionalen Arbeitsagenturen im Bezirk unserer Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg (IHKLW) noch unbesetzt. Die Aussichten für erfolgreiche Bewerbungen sind also weiterhin gut.
Wenn ich mich bei einem Betrieb für eine Ausbildung bewerben will, welche Tipps würden Sie als IHK den Bewerbenden geben? Worauf sollten sie achten?
Proaktiv auf den Ausbildungsbetrieb zugehen und das Gespräch suchen zahlt sich immer aus. Es hilft, die eigenen Fähigkeiten und Wünsche zu kennen, also vorher zu schauen, wo habe ich Stärken, was macht mir Freude. Wir haben während der Corona-Pandemie digitale Azubi-Speeddatings angeboten, in denen man sich mal beschnuppern kann. Aber auch digitale Ausbildungsmessen sind ein Weg, erste Eindrücke zu bekommen und zu vermitteln. Natürlich achten Unternehmen auf ein Zeugnis, wenn der Gesamteindruck aber stimmt, ist die ein oder andere Note im Zweifel nebensächlich.
Wie finde ich als Suchender „meine“ Branche? Was hilft mir bei der Auswahl?
Auf unserer Website moin-future.de und auf dem gleichnamigen Instagram-Kanal geben Azubis in Kurzfilmen Einblick in ihren Arbeitsalltag. Es gibt Infos rund um Termine, Gehalt und weitere Anforderungen – und die jungen Leute berichten, wie es im Unternehmen so weitergehen kann. Denn klar ist, der eine ist daran interessiert, möglichst viel Geld zu verdienen, der nächste möchte weiter parallel seinen Hobbys nachgehen können, andere haben besondere Interessen. Die gute Nachricht: Es gibt viele spannende Jobs direkt vor der Haustür und wir helfen dabei, sie zu finden. Einfach mal reinklicken. Wir bieten dort übrigens auch Infos für Eltern und Betriebe. Praktika sind ein guter Weg, einen Betrieb und einen Beruf frühzeitig besser kennenzulernen. Sie helfen vor dem Ausbildungsbeginn 2021 nicht mehr weiter, sind aber im nächsten Jahr wieder absolut ratsam. Darüber hinaus empfehlen wir, mit möglichst vielen Menschen zu sprechen: Eltern, Verwandten, schon berufstätigen Freunden, um Eindrücke zu sammeln und für sich mehr Klarheit zu gewinnen.
Welche Rolle spielen eigentlich duale Berufsausbildungen? Wird das Thema stärker angeboten / nachgefragt?
Die duale Berufsausbildung ist ein deutsches Erfolgsprodukt. Unser Ausbildungssystem wird weltweit geschätzt und wir erleben als IHKLW immer stärker, dass Unternehmen natürlich nicht für den Markt ausbilden, sondern ihre Leute halten wollen, sie weiterentwickeln und fördern. Das ist für jeden zukünftigen Azubi eine große Chance, denn den Unternehmen ist klar: Wir brauchen gute Leute. Der Azubi von heute ist die Fachkraft von morgen. Eine Win-Win-Situation. Da der Berufseinstieg über eine Ausbildung zudem alle Möglichkeiten berufsbegleitenden Lernens und Studierens eröffnet und natürlich auch der Weg an eine Universität immer noch offensteht, ist dies der sicherste und aussichtsreichste Start in eine berufliche Karriere.
Welche Branchen in Ihrem IHK-Kreis erfahren derzeit einen besonders großen Zulauf an Bewerbenden? Gibt es besonders nachgefragte Bereiche?
Das ist nicht unsere Lieblingsfrage, zumal es immer ratsam ist, nicht das zu machen, was alle anderen machen. Anhaltend beliebt sind bei Männern und Frauen die kaufmännischen Berufe: insbesondere Kaufleute für Einzelhandel, für Bürokommunikation oder auch die Verkäuferberufe. Erstaunlicherweise rangiert auch die medizinische Fachangestellte immer noch bei Frauen ganz oben, der Kfz-Mechatroniker bei Männern. Viel mehr Bewerberinnen und Bewerber wünschen sich unsere regionalen Unternehmen hingegen bei den IT-Berufen, bei vielen gewerblich-technischen Berufen und – gerade jetzt im Restart – bei den Gastronomie- und Tourismusberufen. Unsere Empfehlung: das anstreben, was einem persönlich wirklich liegt und sich damit aktiv auseinandersetzen, und nicht das, was die Freunde auch machen. Wir wünschen uns deshalb viel mehr Berufsorientierung in den Schulen.
Wo sehen Sie im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sowie Masterthemen wie der Digitalisierung für die Zukunft wesentliche Herausforderungen für die Wirtschaftsbetriebe?
Die Pandemie hat in Sachen Digitalisierung wie ein Brennglas gewirkt – egal, ob es um mobiles Arbeiten, digitale Veranstaltungs- und Informationsformate oder digitales Lernen geht. Wir stehen als regionale Wirtschaft vor der Herausforderung, Learnings jetzt nicht verpuffen zu lassen, sondern daran anzuknüpfen und interdisziplinäre Wege zu finden – übrigens auch generationenübergreifend. Darüber hinaus leben wir in einer zunehmend schnelllebigen Zeit, in der Geschäftskonzepte viel schneller und weitreichender als früher angepasst werden müssen. Das alles geht nicht ohne Kollaboration, Kommunikation und Kultur, nicht ohne Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.
Inwiefern werden die Folgen der Corona-Pandemie „unsere Wirtschaft“ auch langfristig bzw. nachhaltig verändern?
Wir haben gelernt, dass wir uns in den Betrieben viel schneller als gedacht auf eine komplett neue Situation einstellen können. Und wir haben alle gelernt, dass es nur gemeinsam geht. Das wird bleiben. Werte und Haltung sind wichtiger geworden. Das Thema Nachhaltigkeit ist ebenfalls gekommen, um zu bleiben. Antworten auf diese Fragen finden wir nur branchenübergreifend und gemeinsam, unser Jahresthema #GemeinsamWirtschaftStärken ist da Auftrag und Motivation zugleich.
Ein Beitrag von Falk-Martin Drescher für BS-Live!